Der letzte Urlaubstag

Ich bin schon für die Reise angezogen, zwischen mir und dem Mälarsee ist eine leise Fremdheit, wir sagen wieder Sie zueinander. (…)
Da steht Gripsholm. Warum bleiben wir eigentlich nicht immer hier? Man könnte sich zum Beispiel für lange Zeit hier einmieten, einen Vertrag mit der Schloßdame machen, das wäre bestimmt gar nicht so teuer, und dann für immer: blaue Luft, graue Luft, Sonne, Meeresatem, Fische und Grog – ewiger, ewiger Urlaub.
Nein, damit ist es nichts. Wenn man umzieht, ziehen die Sorgen nach. Ist man vier Wochen da, lacht man über alles – auch über die kleinen Unannehmlichkeiten. Sie gehen dich so schön nichts an. Ist man aber für immer da, dann muß man teilnehmen. Aus Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke in 10 Bänden, Band 9, 1931, Schloß Gripsholm, Rowohlt Verlag, 1960

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Sommergefühl

IMG_20120729_152308Ich habe schon immer den Sommer geliebt. Vielleicht, weil ich an einem heißen Tag kurz vor Pfingsten geboren wurde. In den Sommern meiner Kindheit begann das Sommergefühl mit dem ersten morgendlichen Erwachen im Ostseeurlaub. Wir schauten aus dem Fenster und wenn entschieden wurde, dass heute Strandwetter sei, war der Tag gerettet. Strandwetter, das bedeutete endlos Buddeln im Sand, Kleckerburgen bauen und natürlich Baden im Meer: Weit raus schwimmen, möglichst bis zur Boje und stolz wieder zurück kommen gegen die Wellen ankämpfend, die mich immer wieder ein Stück zurück zogen. Am Strand war es voll, die Erwachsenen sonnten sich oder spielten Volleyball, überall tobten Kinder herum und der Geräuschpegel war ungefähr wie im Freibad. Wollte man Eis oder etwas zu trinken, musste man sich in endlose Schlangen einreihen. Am Schönsten war es, wenn wir über Mittag am Strand blieben und nicht zum Essen gingen. In den Ostseesommern meiner Kindheit war es immer heiß, nur selten war es mal kühl oder regnete gar. Dann zogen dichte Autokolonnen über die Insel bis nach Stralsund und das Sommergefühl war nicht mehr da.

Später waren es die Kiefernwälder in Mecklenburg, die ebenfalls dieses Sommergefühl auslösten. Sandige Wege, die wir mit dem Fahrrad befuhren, Sandboden nicht nur im Wald, sondern auch in den kleinen Dörfern, die keine befestigten Fußwege hatten. Zu dieser Zeit las ich wahrscheinlich gerade »Daniel Druskat« oder sah die Fernsehserie »Wege übers Land«, die zu dieser Landschaft passten. Als ich später »Sommerstück« von Christa Wolf las, wurde die Sehnsucht nach den mecklenburgischen Ferientagen wieder wach gerufen.

Sommer in der Stadt, das ist seit ein paar Jahren unser Balkon, auf dem Wiesenblumen blühen, dieses Jahr durch sogenannte Samenbomben ausgelöst. Das Schöne daran ist die Überraschung welche Blumen blühen werden: Kornblumen, Sonnenblumen oder ganz was anderes. Abends lässt der Verkehr auf dem Platz nach und es wird ruhig. Ich kann in die Wolken schauen und die Schwalben fliegen dicht über mir, auch so ein Sommergefühl, leider nur wenige Tage im Jahr.

Sommer in der Maremma, südliche Toskana: zwei Wochen Hitze, Zikadengeräusche, Fliegengesumme. Das ist der Favorit unter meinen Sommergefühlen seit letztem Jahr. Schon am Morgen ist es heiß und alle körperlichen Aktivitäten werden auf ein Mindestmaß reduziert. Am Besten ist es, an einem schattigen Platz zu lesen, nur unterbrochen von kurzen Mahlzeiten und dem hier gar nicht so lästigen Abwaschen. Überall liegen Katzen träge an schattigen Plätzen. Hühner laufen herum und der Hahn kräht, wenn er für seine Hennen etwas gescharrt hat. Beim Fressen lässt er ihnen, ganz Gentlemen, manchmal den Vortritt.

Wenn es am späten Nachmittag etwas kühler wird, fahren wir über Land, können uns nicht satt genug sehen an den Sonnenblumenfeldern, Pinien, Zypressen, den kleine Orten auf den grünen Hügeln. Ab und zu und viel seltener als im Chianti-Gebiet taucht ein vornehmes Anwesen an der Straße auf und wir träumen davon, so etwas zu besitzen…

Vorerst sind wir aber zufrieden mit einer einfachen Unterkunft auf einem Bauernhof mit hunderten Olivenbäumen, das ist schon Paradies genug. Das Meer ist ganz in der Nähe. An einem Strand mit schattigen Pinien haben wir unseren Lieblingsplatz gefunden. Das Wasser ist meist angenehm warm, an windigen Tagen dagegen kann es auch schon mal kühl sein, aber dann machen die Wellen Spaß. Die Insel Elba ist ganz deutlich zu sehen. Vor dreißig Jahren habe ich ganz begeistert die Napoleon-Biografie von Tarlé gelesen, da habe ich nicht einmal geahnt, dass ich mal so nah an der berühmten Verbannungsinsel sein werde.

Auf unseren kleinen Reisen durch die Maremma halten wir manchmal an einer Bar. Überall gibt es einen ausgezeichneten Espresso, noch die kleinste Bude besitzt eine teure Maschine. Wunderbar ist es auch in Caldana, dem Dorf auf einem Hügel in der Nähe »unseres« Hofes, Kaffee zu trinken. An den Nachbartischen spielen Jugendliche Karten, alte Männer sitzen schwatzend und rauchend im Schatten. Weil ich von unterschiedlichen Preisen gehört hatte, je nachdem ob man seinen Kaffee auf der Terrasse oder an der Bar trinkt, hatte ich beim ersten Mal schon Bedenken, es könnte teuer werden, weil wir gleich auf die Terrasse verwiesen worden sind. Inzwischen wissen wir, dass Kaffeetrinken irgendwie zum Lebensgefühl der Italiener gehört und außerhalb der touristischen Stätten im Gegensatz zu Deutschland nur einen symbolischen Preis hat.

Leider ist unser Sommer in der Toskana immer viel zu kurz, aber wenigstens für ein paar Wochen bleiben die Gelassenheit und die Freude an den einfachen Dingen des Lebens auch noch in Deutschland erhalten – bis der manchmal hektische Alltag und damit die Sehnsucht nach unserem kleinen Paradies wieder beginnt.