Auf den Spuren von Hemingway in Paris

Wenn Du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu sein, dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir. Wohin du auch gehen magst, denn Paris ist ein Fest fürs Leben.

Ernest Hemingway, 1950

Ich hatte nicht das Glück, schon in jungen Jahren Paris zu erleben. Aber die Sehnsucht nach dieser Stadt begleitet mich seit meiner Kindheit. Als ich ungefähr zwölf Jahre alt war, habe ich in »unserem« Kino einen Diavortrag über Paris gesehen und seitdem war ich fasziniert von dieser für mich damals unerreichbaren Weltmetropole. Ich kann mich erinnern, dass es mich traurig machte, dass ich vielleicht erst im Rentenalter die Chance haben sollte, dorthin zu reisen. Ein bisschen tröstete es mich, dass das Paar, welches die Dias zeigte, davon erzählte, dass in Paris die Luft so schlecht sei, dass beide die ganze Zeit unter Kopfschmerzen gelitten hatten. Später wurde meine Sehnsucht nach Paris erneut, diesmal durch französische Filme besonders durch solche mit Romy Schneider, entflammt. Von Paris las ich auch in den Büchern der Emigranten wie in »Arc de Triomphe« von Remarque. Die Gründerzeitviertel von Prag (besonders die Pariser Straße) und Budapest erinnerten ebenfalls ein bisschen an die Belle Époque Architektur von Paris.

»Paris, ein Fest fürs Leben«

Hemingways Bücher haben mich eigentlich nie so richtig begeistert. Vielleicht fing ich zu früh damit an, sie zu lesen, denn einige von ihnen standen schon im Bücherschrank meiner Eltern. Wahrscheinlicher ist es aber, dass ich mit den darin so ausführlich glorifizierten männlichen Tugenden und Interessen als Frau nichts anfangen konnte. Stierkämpfe, Pferde- und Autorennen, Boxen, übermäßiger Alkoholgenuss und seine Kriegsschilderungen, die zwar nie kriegsverherrlichend sind, aber dennoch immer wieder Heldenmut betonen, fand ich schon immer eher abstoßend.

Für unsere Reise nach Paris, vor allem für die Zugfahrt, schien mir jedoch Hemingways letztes Werk »Paris, ein Fest fürs Leben« eine geeignete Lektüre zu sein und ich bin nicht enttäuscht worden. Im Gegenteil, mir hat das Buch sehr gut gefallen. Ich konnte eintauchen in das Paris der zwanziger Jahre und später selbst sogar noch andeutungsweise diese im Buch so treffend beschriebene Atmosphäre bei unseren Spaziergängen durch die Stadt erleben. Wir waren im Frühling in Paris, meist schien die Sonne und es war warm. Dennoch schaffte es der so melancholisch schöne Anfang des autobiografischen Romans, dass ich mir Paris im Winter vorstellen konnte:

Dann begann das schlechte Wetter. Es kam eines Tages, als der Herbst vorbei war. Nachts musstest du wegen des Regens die Fenster geschlossen halten, und der kalte Wind streifte das Laub von den Bäumen auf der Place Contrescarpe. …
Mit dem ersten kalten Regen des Winters brach die ganze Traurigkeit der Stadt herein, und die hohen weißen Häuser hatten keine Dachstühle mehr, und beim Gehen sahst du nur das nasse Schwarz der Straße und die geschlossenen Türen der kleinen Läden…

Solche Sätze entschädigten mich für die natürlich auch wieder beschriebenen Pferderennenwetten und andere mich nicht interessierende Erlebnisse, über die ich schnell hinweg las. Überraschenderweise habe ich mich beim Lesen einiger Kapitel sogar sehr gut amüsiert, zum Beispiel als Hemingway seinen Ausflug mit dem exzentrischen und obendrein noch hypochondrischen Scott Fitzgerald schildert. Allerdings enthält die neu editierte Ausgabe einige Entwürfe zu dem von Hemingway nicht fertig gestellten Vorwort, in denen er wortreich beteuert, dass die Geschichten in seinem Buch erfunden sind. Wahrscheinlich fürchtete er den Zorn von Zeitgenossen, von deren Angehörigen oder Anhängern wie zum Beispiel auch von Gertrude Stein, die nicht gerade sympathisch charakterisiert ist.

»Paris, ein Fest fürs Leben« ist ein Fragment und hat als solches eine interessante Editionsgeschichte, der ich mich in einem späteren Beitrag vielleicht noch mal widmen werde. 1964 das erste Mal erschienen, wurde es im Jahr 2009 vom Enkel des Autors Seán Hemingway in der Urfassung neu verlegt. Im Rowohlt-Verlag erschien diese Ausgabe dann in neuer Übersetzung im Jahr 2011.

74, Rue du Cardinal-Lemoine und 113, Rue Notre-Dame-des Champs

Hemingway kam1921 frisch verheiratet mit seiner ersten Frau Hadley Richardson als Auslandsreporter des »Toronto Star« nach Paris. Zunächst wohnte das Paar noch im Hotel, 1922 zogen beide in die Rue du Cardinal-Lemoine. Damals muss das eine ärmliche Gegend gewesen sein. Die Wohnungen waren klein, hatten Plumpsklo und undichte Fenster. Hemingway musste sich zum Schreiben ein kleines Hotelzimmer anmieten. Hier hatte er es warm und wurde nicht gestört wie manchmal im Café oder auch zu Hause, wo es noch seinen kleinen Sohn John, genannt Bumby, gab. Frühmorgens zog der Ziegenhirte mit seiner Herde durch die Rue du Cardinal-Lemoine und melkte auf Wunsch eines der Tiere. Heute liegt die Adresse im vornehmen 5. Arrondissement und solch eine Szenerie ist schwer vorstellbar.

Die Rue Notre-Dame-des-Champs befindet sich im 6. Pariser Arrondissement im Viertel Montparnasse. Dort wohnte Hemingway mit Hadley und dem gemeinsamen Sohn von 1924 bis zum Ende seiner ersten Ehe im Jahr 1927. Die Familie hatte eine Wohnung in einem Nebengebäude im Hinterhof über einem Sägewerk. An dieser Stelle befindet sich heute ein Neubau. In der Nachbarschaft wohnten schon im 19. Jahrhundert viele Künstler, das Atelier von Paul Cézanne befand sich in unmittelbarer Nähe. Die Bildhauerin Camille Claudel hatte ihr Atelier in der Rue Notre-Dame-des-Champs. Symbolisten, Dadaisten und Surrealisten trafen sich Anfang des 20. Jahrhunderts in den umliegenden Cafés. Hemingways Freunde, der englische Schriftsteller Ford Madox Ford und der US-amerikanische Dichter Ezra Pound wohnten ebenfalls in der Rue Notre-Dame-des-Champs.

IMG_20140423_104015La Closerie des Lilas
In unmittelbarer Nähe zu Hemingways Wohnung befindet sich auch noch heute auf dem Boulevard de Montparnasse das Café »La Closerie des Lilas«, benannt nach den Fliederbüschen, die es einst umgeben haben. Hier überarbeitete Hemingway seinen ersten Roman »Fiesta« und schrieb zahlreiche Kurzgeschichten. Er bezeichnete das Café als sein »Zuhause« und Marschall Ney, auf dessen Denkmal er schaute, wenn er draußen unter den großen Bäumen saß, war sein »alter Freund«. In die »Closerie« ging man nicht, um gesehen zu werden. Dafür eigneten sich die anderen Cafés auf dem Boulevard de Montparnasse wie das »Rotunde« oder das »Dôme« besser. In die gemütliche »Closerie« kamen Menschen, die ungestört arbeiten, Zeitung lesen oder sich mit ihren Nachbarn treffen wollten.

Aber schon 1923 beklagte Hemingway die Amerikanisierung des Cafés wie des ganzen Viertels. Die neue Geschäftsführung wollte reichere Gäste anlocken. Es wurde eine Bar im amerikanischen Stil eingebaut, die Kellner mussten weiße Westen anziehen und sich vor allem die Bärte abrasieren. Letzteres war vor allem für Jean, einer von Hemingways Lieblingskellnern, eine Katastrophe. Er war im ersten Weltkrieg bei den Dragonern gewesen und wollte auf seinen Dragonerschnurrbart auf gar keinen Fall verzichten. Aus Protest gegen diese Maßnahmen schenkten die Kellner Hemingway und seinem Freund großzügig Whisky ein.

Heute ist die »Closerie des Lilas« eher ein vornehmes Restaurant, in dem Touristen Austern essen. Die Tische stehen längst nicht mehr um das Denkmal von Marschall Ney herum, sondern sind mit einer Hecke vor den Blicken Neugieriger abgeschirmt. In den zwanziger Jahren tanzte man hier abends noch ausgelassen.

IMG_20140423_142725Diese Zeiten scheinen längst vorbei und wir haben es vorgezogen, in ein weniger berühmtes Café gegenüber der »Closerie« zu gehen, welches es aber durchaus auch vermochte, uns eine Illusion vom Kaffeehauszeitgeist der zwanziger Jahre zu vermitteln.

 

 

 

 

Shakespeare & Company

Als Hemingway während seiner Pariser Jahre beschloss, nicht mehr als Reporter zu arbeiten und seinen Lebensunterhalt ausschließlich mit dem Schreiben von Geschichten und Romanen zu verdienen, hatte er manchmal so wenig Geld, dass er sich nicht drei Mahlzeiten am Tag leisten konnte. Er versuchte seinen Hunger zu vergessen, in dem er durch den »Jardin du Luxembourg« spazierte, wo ihn keine Restaurants oder Geschäfte an Essen erinnerten. Von dort aus kam er auf seinen Streifzügen, immer bedacht darauf, nicht an Lebensmittelläden oder Restaurants vorbei zu kommen, oft in die Rue de l′Odeon 12, wo sich die Buchhandlung von Sylvia Beach mit englischsprachiger Literatur befand. Die amerikanische Inhaberin betrieb auch eine Leihbücherei, in der Hemingway sich Bücher vor allem von russischen Autoren wie Dostojewski, Tolstoi und Turgenjew auslieh. Natürlich interessierte er sich auch für James Joyce, dessen »Ulysses« Sylvia Beach als erste verlegt hatte und der oft in der Buchhandlung verweilte. Sylvia Beach unterstütze die Schriftsteller der sogenannten »lost generation« (ein von Gertrude Stein geprägter Begriff, dessen Zustandekommen Hemingway in seinen Pariserinnerungen erzählt) sehr gern auch finanziell, lud sie zum Essen ein und nahm ihre Post entgegen. Mehr über die Buchhandlung »Shakespeare und Company«, die sowohl eine Geschichte vor als auch nach den Jahren mit Sylvia Beach hat, kann man übrigens bei der »Perlengazelle« in einem sehr informativen Beitrag lesen.

Leider gibt es die Buchhandlung von Sylvia Beach in der Rue de l′Odeon nicht mehr. Die Buchhändlerin schloss sie, als die Deutschen in Paris einmarschierten. Im Jahr 1951 gründete sie der US-Amerikaner George Whitman in der Rue de la Bûcherie, direkt gegenüber von Notre Dame im Quartier Latin, erneut. Heute wird sie von seiner Tochter geführt. Als wir die Buchhandlung gefunden hatten, fing es gerade an zu regnen und wir hatten einen Grund mehr, uns lange in den engen verwinkelten und mit Büchern vollgestopften Räumen auf zu halten, die ein kleines Paradies für Buchliebhaber sind.» Shakespeare & Company« ist eine Buchhandlung, die ein gelungenes Gegenstück zu der heute meist vorherrschenden Handelskettenkultur ist und irgendwie auch ein Relikt aus einer anderen Zeit. Man findet vorrangig englischsprachige Literatur. Uns hatten es vor allem die originellen Kinderbücher angetan. Im Erdgeschoss kann der Besucher für mittellose Künstler spenden. Dafür ist im Fußboden eine Glasscheibe mit einem Schlitz eingelassen durch den man seine Münzen werfen kann.

IMG_20140425_120450Über eine schmale Holztreppe gelangt man ins Obergeschoss. Dort steht neben den hohen Buchregalen ein Klavier und es gibt Schlafmöglichkeiten für Leute, die in der Buchhandlung übernachten wollen. Meist sind das Menschen, deren Leidenschaft das Schreiben und Dichten ist. Als Gegenleistung für den Schlafplatz müssen sie ein paar Stunden Bücher einräumen oder andere Hilfsarbeiten machen. Im Obergeschoss ist auch ein Raum eingerichtet, der Bücher aus der Leihbibliothek von Sylvia Beach enthält. Auf alten Kinostühlen kann man Platz nehmen und lesen oder der stolzen weißen Katze namens Kitty zuschauen, die vor den Regalen herumstolziert, als würde der Raum ihr gehören.

 

 

3 Gedanken zu “Auf den Spuren von Hemingway in Paris

  1. wildgans schreibt:

    Das habe ich jetzt SEHR gern gelesen! Besonders die Buchladenbeschreibung hat es mir angetan. Von diesem Geschäft habe ich schon öfter gehört- und einmal habe ich irgendwo gesehen und gehört, wie George Moustaki davor gesungen hat….

    • Kastanie schreibt:

      Vielen Dank für den lieben Kommentar! Ich muss mir jetzt auch unbedingt mal den Film „Midnight in Paris“ von Woody Allen anschauen. Der soll unter anderem auch bei „Shakespeare & Company“ gedreht worden sein. George Moustaki kann ich mir dort auch sehr gut vorstellen.

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